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Kleiner Frühmensch auf indonesischer Insel gefunden


Primitive Menschenform lebte noch bis vor 13.000 Jahren
Von Dagmar Röhrlich


Flores Mensch
Zwergenhaft erscheint die neue Menschenart von der indonesischen Insel Flores gegenüber dem heutigen Menschen. (Foto: Peter Brown)

28.10.2004- Flores ist eine entlegene Insel Indonesiens, die wohl immer eine Insel gewesen ist. Deshalb lebten früher auf Flores andere Tiere als in Asien. Weder Tiger noch Affen noch Nashorn hatten den "Sprung" übers Meer geschafft. Sie kamen nur bis Bali. Primitive Steinwerkzeuge, die in der Mitte der Insel gefunden worden waren, hatten schon gezeigt, daß auch den Frühmenschen vor 800.000 Jahren der Sprung über die Meerenge gelungen war. Jetzt fanden Forscher eine offenbar auf die Insel beschränkte Hominidenart, die von ihnen liebevoll "Hobbit" genannt wird.
Die Dorfbewohner erzählen sich von kleinen, haarigen Menschen, die sie Ebu Gogo nennen, was "Großmutter, die alles ißt" bedeutet. Die Ebu Gogo sollen früher Essen gestohlen haben. Gab man ihnen etwas, verspeisten sie es mitsamt dem aus Kürbis gefertigten Teller. Miteinander sollen die Ebu Gogo in einer Murmelsprache geredet haben, aber sie plapperten auch Worte nach. Sie hatten lange Arme, einen runden, vorspringenden Bauch, eine niedrige Stirn: Das ist im Grunde die Beschreibung unserer Hobbits. Niemand nahm diese Erzählungen ernst. Jetzt aber wollen wir die Vulkanhöhlen oberhalb des Dorfs genau untersuchen. Vielleicht sind diese kleinen, haarigen Wesen ja keine Ausgeburten der Phantasie.

Bert Roberts ist Geologe an der australischen Universität von Wollongong - und er hat nicht zu viel im "Herrn der Ringe" gelesen, wo kleine Hobbits die Welt retten. Seine Begeisterung für die lokalen Sagen beruht auf einem 18.000 Jahre alten Fossil:

Wir haben eine neue Hominidenart gefunden, die ausgewachsen nur einen Meter groß geworden ist. Die Hirnschale war kleiner als die von Schimpansen, ihr Gehirn also so groß wie eine Grapefruit. Sie wurden 25 Kilogramm schwer, so daß sie erwachsen einem dreijährigen Kind glichen. Wir haben diese neue Art nach der Insel Flores Homo floresiensis genannt. Das Skelett lag in einer Kalkhöhle bei Liang Bua im Westen der Insel Flores

Es ist das einer Frau, die mit etwa 30 Jahren starb. Roberts:

Mit einem Meter ist das der kleinste Hominide, der je gefunden worden ist. Ungewöhnlich ist vor allem die starke Verkleinerung des Kopfs, die sonst bei Zwergenwuchs nicht vorkommt. Die Hobbits hatten dabei sehr starke Überaugenwülste und ausgeprägte Wangenknochen, und ihre Stirn flieht sofort über den Augenbrauen nach hinten.

Ganz in der Nähe des ersten Fossils lag noch ein zweites Skelett derselben Art. Das erste Skelett wurden inzwischen auf 18.000 Jahre datiert. Das zweite sind wahrscheinlich sogar nur 13.000 Jahre alt. Die Schädel zeigen eine erstaunliche Mixtur urtümlicher und höher entwickelter Merkmale, so Roberts, und diese Mischung sei wohl eine Folge der "Miniaturisierung":

Anatomisch läßt sich diese neue Art am ehesten mit den rund 1,7 Millionen Jahre alten Fossilien von "Homo erectus" aus Georgien vergleichen und nicht mit dem viel jüngeren "Homo erectus" von Java, dem Java-Mensch. "Homo erectus" war normal groß, und er hat wohl als erster Afrika verlassen. Dank Steinwerkzeugen wissen wir, daß die Ahnen unserer "Hobbits" mindestens vor 800.000 Jahren Flores erreicht haben. Seit damals sind sie dann kleiner und kleiner geworden, so wie es mit großen Säugetieren passiert, die auf einer kleinen Insel mit begrenzten Nahrungsressourcen festsitzen.

Jedenfalls, wenn es keine gefährlichen Raubtiere gibt. Dann ist Größe nur Verschwendung knapper Ressourcen. Auf Flores lebten zwar inzwischen ausgestorbene, riesige Komodowarane, den Knochenfunden zufolge standen die aber auf dem Speisezettel der Hominiden, ebenso Stegadon, ein Zwergelefant von der Größe eines Wasserbüffels.
Wenn man bedenkt, daß diese kleinen Jäger einen Meter groß waren, ein Stegadon aber 500 Kilo gewogen hat, müssen sie die Elefanten in der Gruppe gejagt haben. Sie fertigten dazu ausgefeilte Steinwerkzeuge. Wir haben Klingen gefunden und große, kunstvolle Speerspitzen, und sie hatten Feuerplätze. Obwohl die "Hobbits" klein waren und nur ein winziges Gehirn hatten, war ihr Verhalten komplex. Wir reden nicht über schimpansenähnliche Wesen, sondern über sehr intelligente, kleine Hominiden.
Teamleiter Mike Morwood von der australischen Universität von Neuengland in Armidale. Der Archäologe betont, daß "seine" Hobbits ihre Werkzeuge im Lauf der 800.000 Jahre sehr weit entwickelt haben: von einfachen Formen, wie sie für die Altsteinzeit in Asien und Australien typisch sind, zu Waffen für die Großwildjagd. Die ließen sich nur mit denen ihrer entfernten und fortschrittlicheren Verwandten wie dem Neanderthaler in Europa vergleichen. Die größte Überraschung aber sei, wie lange die kleinen Hominiden überlebten. Bert Roberts:
Wir moderne Menschen sind also noch nicht lange die einzige Menschenart auf der Erde. Wir glaubten, nach dem Verschwinden der Neanderthaler vor rund 30.000 Jahren, die Alleinherrscher zu sein. Jetzt wissen wir, daß entfernte Verwandten noch vor 12.000 Jahren gelebt haben, wenn man den Erzählungen glaubt, noch etwas länger. Unsere Einzigartigkeit schwindet: Wir haben den Planeten nicht so lange allein für uns, wie gedacht.
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